Am Nachmittag die Feiertagsträgheit überwunden und mich nach Z. aufgemacht, zu einem kleinen Shoppingausflug, wie ich dachte. Im Zug eine Mittzwanzigerin, die am Handy für alle im Wagen deutlich vernehmbar von einem Leiden berichtete: Es tue noch weh, doch sie könne schon wieder laufen. Allerdings noch nicht in Jeans, deshalb trage sie jetzt einen Rock. Einen Moment liess sie ihrem Gesprächspartner Zeit für eine Frage und antwortete dann: "Nein, so grosse Pflaster gibt es gar nicht." Ich versuchte, mir nicht vorzustellen, worum es da genau ging.
In Z. blieb ich entgegen meiner Shoppingabsicht im Tram, das mich zum Elektronikdiscount bringen sollte, einfach sitzen und fuhr spontan bis zur Endstation am Stadtrand, in eine Gegend, in der ich noch nie war. Dort zu Fuss weiter auf Entdeckungsreise, durch eine abgelegene, stille und verschlafene Quartierstrasse: Viele Rolläden waren geschlossen, die abgestellten Autos schneebedeckt und weit und breit kein Mensch zu sehen. Einmal begegnete mir ein junges Paar mit einem Kind und grüsste mich – wer sich hier bewegte, konnte in ihren Augen offenbar kein Fremder, sondern musste jemand aus dem Quartier sein. So etwas kenne ich sonst nur aus Bern, wo einem das aber durchaus auch in der City passieren kann.
Ich kam dann an die Endstation einer anderen Tramlinie und fuhr zurück ins Zentrum. Auf einem Sitzplatz in meiner Nähe ein junger Türke, der seinen zwei Kolleginnen mit einer Horrorstory zu imponieren versuchte: Neulich habe er an einer Haltestelle eine Frau auf dem Boden liegen sehen, bewusstlos und „voll am Verbluten“, weil sie gestolpert sei. Im Zentrum dann doch noch ein bisschen Shopping, aber bei Büchern habe ich nie ein schlechtes Gewissen. „Die Welt als Wille & Wahn“ von Niklaus Meienberg ist neu herausgekommen und bei Orell-Füssli so prominent in der Auslage, als ob das Buch zum ersten Mal erschienen und der Autor noch am Leben wäre (schade, dass es nicht so ist, die Schweiz hätte ihn nötig). In der Bahnhofstrasse erstmals die neue Weihnachtsbeleuchtung gesehen. Ich kann gar nicht begreifen, dass sie so umstritten ist.
Im Zug auf der Rückfahrt ein junger Metzger mit einer ehemaligen Schulkollegin, die er gerade zufällig getroffen hatte - wieder ein Prahler mit einer Horrorstory. Zwei Kollegen aus seinem Kaderkurs im Militär hätten eine Handgranate gestohlen, erzählte er. Es seien normale, gestandene Männer gewesen, aber nach dem Verhör durch die Militärpolizei seien sie kreidebleich und gebrochen gewesen. Einen Moment lang fragte ich mich, ob es auch in der Schweiz „kreative Verhörmethoden“ gibt wie beim CIA. Rückkehr nach Hause. Der Ausflug war unspektakulär, aber die frische Luft und die vielen neuen Eindrücke, wie banal sie auch gewesen sein mögen, haben gut getan.