Oeffentlicher Verkehr

2008-12-25 Brünigbahn 2

Unterwegs mit Brünigbahn und iPhone.


2006-08-21_Laptop

...sind zumindest hierzulande noch kein Grund zur Beunruhigung. Beim Blick ins Abteil schräg vor mir sehe ich, dass zwei junge Männer sich auf einem Laptop einen Actionfilm ab DVD anschauen. Offenbar neuerdings ein akzeptables Verhalten im Feierabendverkehr, denn der Zugbegleiter geht ohne Reaktion daran vorbei. Als der Zug im Tunnel ist, sind quietschende Autoreifen und ein Crash zu hören. Ich nehme an, das war auch im Film.


Gestern Freitag nach 19 Uhr. Ich steige an der ersten Haltestelle am Stadtrand von L. in den Bus Richtung Zentrum. Der Bus ist fast leer, die Berufstätigen sind längst zu Hause, und wer ausgehen will, ist noch nicht unterwegs.

Nach ein paar Haltestellen steigen drei Leute im Alter von Anfang zwanzig ein: ein dunkel gekleideter, von Aussehen und Sprechweise her ziemlich tuntig wirkender Mann, eine ebenfalls dunkel gekleidete, sehr mollige Frau, an die ich normalerweise keinen zweiten Blick verschwenden würde, und eine etwas farbenfrohere, sehr hübsche, dunkelblonde Frau mit ganz tiefem Ausschnitt, die von den beiden anderen (wenn ich mich richtig erinnere) Nadine genannt wird. Der Mann und die Mollige sitzen auf der anderen Seite des Ganges auf gleicher Höhe wie ich, Nadine lümmelt sich mit dem Rücken zum Seitenfenster auf die beiden Plätze davor.

Die Drei albern herum und lachen laut heraus, wobei Nadine jedes Mal, wenn sie beim Lachen Luft holt, ein schweinisches Grunzen entfährt, etwas, das im groben Gegensatz zu ihrem angenehmen Äusseren steht. Obwohl diese Eigenart den anderen beiden längst bekannt sein muss, finden sie es sehr lustig und beginnen ebenfalls zu grunzen wie Schweine. „Also ich habe noch nie gegrunzt wie ein Säuli“, sagt die Mollige, „aber gestern ist es mir zum ersten Mal auch passiert.“ Sie lachen und grunzen wieder. Alle sprechen reinstes Zürichdeutsch, ich frage mich, was sie nach L. verschlagen hat.

Nach einer Weile sagt der Mann zur Molligen: „Schau mal, Spermaflecken!“ und deutet auf seine Hose. „Du kennst ja das Brett am Kopfende meines Bettes“, fügt er hinzu. „Das ist auch ganz voll.“

Lauter als nötig fährt er fort: „Zum Glück sind wir nicht prüde und können über solche Sachen offen reden. Wenn wir mal dreissig sind, sind wir dann vielleicht auch prüde.“

Ab jetzt ist mir klar, dass es ihm nur darum geht, die anderen Fahrgäste zu provozieren, insbesondere die beiden blonden, etwa 25-jährigen Frauen, die auf den Plätzen vor Nadine sitzen und ihre Öhrchen spitzen. Die Mollige beschliesst mitzumachen: „Mein Pyjama ist gestern auch ganz feucht geworden“, sagt sie.

„Wenn ich mit zwei Frauen zusammen bin, dann verwenden wir meistens einen Dildo", sagt der Mann, “dann gibt es nicht so eine Sauerei. Aber wenn wir zu viert sind…“

„Au ja, zu viert ist geil“, sagt die Mollige. So geht das eine Weile weiter, und wir erfahren von der Molligen unter anderem noch: „Aufs Blasen stehe ich besonders.“

Die beiden blonden Frauen scheinen in so etwas wie eine Schreckstarre verfallen zu sein, was den drei Schweinchen nicht entgeht, denn darauf haben sie es ja angelegt. Mich hingegen kann, nachdem ich im ÖV schon Suizid und Zänkereien erlebt habe, nichts mehr aus der Fassung bringen. Deshalb verziehe ich keine Miene, schaue ab und zu auf die Uhr und tue so, als ob mich die Fahrt ziemlich langweile. Die Drei bemerken es und sind ein bisschen irritiert.

An der nächsten Haltestelle steigen die beiden blonden Frauen aus, bleiben aber vor dem Bus stehen. Die drei Schweinchen freuen sich wie Kinder, als sie deren Reaktion mitbekommen: „Jetzt schauen sie zu uns“, sagt der Mann, obwohl seine Kolleginnen die Blondinen ebenfalls beobachten, „jetzt reden sie über uns“, fügt die Mollige hinzu, „und jetzt schauen sie wieder zu uns“, sagt der Mann erneut.

Am Bahnhof steige ich dann aus, ebenso Nadine, die sich von den anderen beiden fast grusslos trennt und umgekehrt – so beiläufig, wie es wohl Leute tun, die genau wissen, dass sie spätestens in einer halben Stunde gewohnheitsmässig wieder miteinander telefonieren und sich spontan für den Abend verabreden werden - zu welchen Vergnügungen auch immer.

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Heute Nachmittag auf der Zugfahrt nach Zürich (L. ab 15:10 Uhr) kam ich mir in die Neunzigerjahre zurückversetzt vor: Der Zug bestand aus alten grünen Wagen, die damals noch im regulären Einsatz standen, und in meiner Nähe sassen hübsche junge Frauen, die es von Bikinis und vom Sonnenbaden hatten, wobei eine von ihnen sagte: „Ich trage nie ein Oberteil“. Altes Rollmaterial und Freizügigkeit wie vor 15 Jahren – das eine können sie von mir aus gerne wieder bringen, aber die Wagen sollten sie langsam verschrotten.

Weniger schön, aber nicht minder interessant war die Rückfahrt am Abend (Zürich ab 17:35 Uhr), diesmal im modernen IC2000-Doppelstöcker und in der ersten Klasse. Der Klassenwechsel für 7 Franken 50, den ich mir eigentlich gegönnt hatte, um im Pendlergedränge meine Ruhe zu haben, war dann das Eintrittsticket zu einem bizarren Schauspiel. Ein Mann, ca. 50 Jahre alt (links ausserhalb des Bildausschnitts), nennen wir ihn Peter, denn so heisst er, wählt mit dem Handy eine Nummer und sagt so laut, dass man es im ganzen Wagen hört: „Hallo Lars, hier ist Peter. Störe ich?“

Ja, denke ich.

Peter lärmt weiter: „Ich wollte nur schnell fragen, ob ihr Wasser bekommen habt.“

Ein anderer Mann, ebenfalls ca. 50 Jahre alt (rechts im Bild auf der Eckbank sitzend), steht auf, mustert den Lärmenden demonstrativ und vorwurfsvoll, aber es nützt nichts, der lärmt weiter. So erfährt der ganze Wagen, welche Gruben oder Schächte einer Baustelle beim heutigen Regen vollgelaufen sind: „Dass B2 und B3 Wasser bekommen würden, habe ich schon gedacht, aber B1…“

Nach dem Ende des Gesprächs fängt eine Frau (im Bild vorne), die Peter gegenüber sitzt, an, alle mit ihrem Palm-Handy zu nerven: Sie spielt offenbar ein Game, mit einem Stift tippt sie dauernd auf dem Display herum, und jedes Mal ertönt dabei ein Klack-Geräusch. Neben ihr (im Bild hinten) sitzt ein Mann, der ebenfalls auf seinem Handy herumdrückt, aber wenigstens hat er den Ton abgeschaltet.

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Ich frage mich schon, ob die Situation mehr für einen Eintrag hier hergibt als bloss ein Bild. Nach etwa zehn Minuten, in denen die Reisenden im Durchschnitt jede Sekunde ein Klack vom Handy der Frau ertragen mussten, erhalte ich die Antwort. Der Mann rechts im Bild ruft laut und verärgert aus seiner Ecke: „Was ist das für ein Geräusch? Sind Sie am Spielen? Stellen Sie doch den Ton ab, das ist ja unerträglich!“

Die Frau macht unbeirrt weiter, klack klack klack, die Spannung steigt. Nach etwa zwei Minuten sagt der Mann mit dem Handy neben ihr schüchtern so etwas wie, dass ihn das Klacken auch störe.

„Es nervt mich ja selber auch“, sagt die Frau, „aber ich weiss nicht, wie man es abstellt.“ Der Mann nimmt das Handy und den Stift der Frau, muss auch noch etwa zwanzigmal "Klack" machen, bis er sich im Menu zu dem Posten durchgewählt hat, wo er den Ton abschalten kann, und gibt es ihr dann zurück.

„Vielen Dank“, sagt die Frau und steigt, gerade an ihrer Haltestelle angekommen, aus. In diesem Moment beginnt ein Handy zu klingeln und wird immer lauter. Peter beeilt sich, seine Mappe zu öffnen, kramt hastig das Handy hervor, damit er nicht auch noch einen Vorwurf vom anderen Mann kassiert, nimmt ab und sagt dann trotzdem wieder so laut wie vorher: „Hallo Brigitte!“

Ich zucke zusammen, die junge Frau mir gegenüber sieht es und beginnt zu lachen. Sie sieht so aus, als ob sie auch nur ausnahmsweise in der ersten Klasse fahren würde und gleichermassen von dem Verhalten dieser Leute fasziniert, das heisst amüsiert und angewidert wäre wie ich. Als sie bald darauf aussteigt, verabschiedet sie sich freundlich und immer noch lachend von mir. Zum Glück muss auch Peter aussteigen, so dass auf dem Rest der Fahrt zurück nach L. dann endlich Ruhe herrscht.

Das war wieder mal das wirkliche Leben, wie es eben nicht im Buche steht. Ich bin übrigens nach Zürich gefahren, um einen iPod zu kaufen. Aber im Zug werde ich den wohl kaum verwenden, sonst würde ich ja solche Sachen wie heute gar nicht mitbekommen.


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Im Buch „Alles Bahnhof“ von Christoph Grünig und Klaus Koch (Edition Bellvues, Biel/Bienne 2005) sind sämtliche Bahnstationen der Schweiz abgebildet. Das Buch ist nicht nur ein optischer Genuss, sondern auch ein ideales Spielzeug für Besitzer eines Generalabonnements. Schon vor etwa zwei Monaten wollte ich mir einen Spass daraus machen, blind einen Bahnhof auszuwählen und dann dorthin zu fahren.

"Ich will zu dem Bahnhof, der auf Seite 242 in der zweiten Reihe im zweiten Bild von links abgebildet ist“, sagte ich mir aufs Geratewohl, schlug das Buch an der entsprechenden Stelle auf und sah, dass ich also nach Muhen fahren würde, wo immer das auch liegen mochte.

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Ein Blick aus dem Fenster auf den spätwinterlichen Schneesturm hielt mich damals davon ab, aber heute Nachmittag habe ich die Reise nachgeholt. Mit dem ausgedruckten Fahrplan aus dem Internet in der Tasche, aus dem ich jetzt immerhin wusste, dass Muhen irgendwo bei Aarau liegen musste, verliess ich das Haus. Zum Glück kam mir erst unterwegs in den Sinn, dass heute wohl viele Pfadfinder auf dem Rückweg aus dem Pfingstlager sein würden, sonst hätte ich die Sache wieder verschoben.

Im Zug ab L. hatte ich Glück, kein Pfadfindergedränge, dafür verliebte Pärchen auf dem Weg in die Ferien und zwei offensichtlich allein erziehende Mütter mit ihren Kindern im Primarschulalter. Eines von ihnen las den anderen Witze und Scherzfragen aus einem Buch vor: „In welchem Gefäss versteckt sich ein Elch? Im Kelch“ oder „Das Spinnenweibchen will einkaufen gehen. Sagt das Spinnenmännchen: 'Nimm das Netz mit, du weisst ja, wie teuer Plastiktüten sind'“. Die Witze wirkten ansteckend, denn als ein Bub den Bahnhof Thalwil erkannte, sagte ein anderes Kind: „Woher weisst du das? Hast du die Treppe erkannt? Wie heisst sie? Wendel? Hahaha.“

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In Zürich stieg ich in einen mir gut bekannten ICN um: Ich hatte vor zwei Jahren mit der Taufe dieses Neigezugs zu tun gehabt. Bei jeder Tür, also zweimal in jedem Wagen, hängt seither ein Bild, das ich fotografiert habe. Es zeigt ein Gschpänli von mir, das ich jetzt gerne bei mir gehabt hätte.

Zum Glück wieder keine Pfadfinder im Wagen. Erst in Aarau setzte sich eine Pfadigruppe in den Nahverkehrszug, der von dort nach Muhen und weiter nach Schöftland fuhr. Aber es war nicht weiter schlimm. Mir gegenüber sass ein etwa Elfjähriger, der seinen verblüfften, meist älteren Kollegen erzählte, in etwa zehn Jahren wolle er für ein Jahr nach Japan, um die Sprache zu lernen.

So landete ich also in Muhen, einer Halt-auf-Verlangen-Station, wie ich jetzt sah. Etwa zwanzig Minuten verbrachte ich dort und verscheuchte die in dieser leicht absurden Situation aufkommende Frage „Was tust du eigentlich an diesem gottverlassenen Ort?“ dadurch, dass ich ein paar Bilder knipste.

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Dann ereignislose Rückfahrt nach Aarau. Von dort nahm ich einen anderen Weg nach Hause, via Olten und Langenthal, sodass die Reise eigentlich eine Rundfahrt war.

In Langenthal setzten sich sechs oder acht mit schweren Rucksäcken bepackte Mittvierziger beiderlei Geschlechts in die beiden Abteile hinter mir. Ihr Running-Gag während der gesamten Fahrt waren die Blähungen des einen von ihnen. Fast jeder zweite Satz handelte davon, und offenbar war das schon während des ganzen mehrtägigen Ausflugs so gewesen. Sie fanden es unglaublich witzig, aber mir gingen sie auf die Nerven, und ich wünschte mir, dass stattdessen Pfadfinder im Wagen sitzen würden.

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Zu Hause schlug ich dann wieder das Bahnhofsbuch auf und wunderte mich: Dort sieht der Bahnhof Muhen ganz anders aus, als ich ihn heute erlebt habe. Er ist aus einer Perspektive fotografiert, die nicht derjenigen des Zugsreisenden entspricht. Man merkt halt, dass die Fotografen mit dem Auto unterwegs waren. Und das war sicher nicht so abwechslungsreich.


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Der Automat ist neu an diesem Standort, die Plakatstelle ebenfalls. Mal sehen, wer bleiben darf.


Heute Mittag war ich an der Première eines Videofilms zum Jubiläum "100 Jahre Simplontunnel". Darin war auch eine Ernstfallübung mit einem neuen Lösch- und Rettungszug zu sehen. Was geschieht als Erstes, wenn der Löschzug am Einsatzort im Tunnel eintrifft? Der Einsatzleiter stellt neben der Brandstelle einen Flipchart auf und fängt an, sich Notizen zu machen. Heiterkeit im Publikum.

Solothurn
Nähe ist relativ, auch die geografische. Die Distanz zwischen zwei Orten ist mehr als die Luftlinie dazwischen; sie hängt auch von der Topografie, den Verkehrswegen und dem Fahrplan ab. Ein Ort mag nur fünf Kilometer von meinem Wohnort entfernt sein, aber wenn dazwischen ein Berg liegt und ich einen Umweg über die nächste Stadt nehmen muss, oder wenn nur alle zwei Stunden ein Postauto fährt und am Wochenende gar keines, dann kann es einem vorkommen, als würde der Ort in einem anderen Land liegen.

Das Gegenteil ist mir heute passiert. Ich nahm die letzte Gelegenheit wahr, mir die Sonderausstellung „Fliegend unterwegs“ im Naturmuseum Solothurn anzuschauen. Früher hätte ich für eine Zugfahrt dorthin drei- bis viermal umsteigen müssen. Seit kurzem führt eine S-Bahn-Linie von meinem Wohnort direkt nach Langenthal, sodass ich jetzt mit nur einmal Umsteigen nach Solothurn kam, einen Ort, an dem ich seit meiner Kindheit nicht mehr war und der mir deshalb sehr fremd vorkam.

Es tat sich eine ganz seltsame Schere auf: Die Umgebung kam mir völlig unbekannt und exotisch vor, aber mein Zeit- und Raumgefühl sagte mir, dass ich eben erst das Haus verlassen hatte und mich somit noch im Umkreis meiner vertrauten Heimat befand. Es war, als ob die ganze Stadt Solothurn an ihrem alten Standort abgebaut und 30 Kilometer näher an meinen Wohnort verschoben worden wäre. Total surreal. So seltsame Gefühle kann der Ausbau des öffentlichen Verkehrs auslösen.

SBB
Gesehen heute Morgen im Bahnhof L.

Morgens (links) und abends in meiner S-Bahn

Die Vorzüge meiner S-Bahn. Liebe SBB, komm ja nicht auf die Idee, daran etwas zu ändern. Ich glaube nicht, dass ich mich wieder daran gewöhnen könnte, auf dem Arbeitsweg morgens und abends weniger als 16 Sitzplätze für mich allein zu haben. Nach dem Horror des letzten Sommers (vier Monate lang Drittwelt-Feeling auf der holprigen, halbstündigen Fahrt im stets überfüllten Bahnersatzbus) haben wir Pendler uns dieses Paradies redlich verdient.