Momente

2009-11-25_Frankfurt

Rückfahrt von einem sehr schönen Besuch bei Verwandten in Deutschland. Bei meinem letzten Besuch 1977 war ich noch ein Kind gewesen. Damals, das wurde mir kürzlich bewusst, war seit dem Zweiten Weltkrieg erst so viel Zeit vergangen, wie ebendieser Besuch, von heute aus gesehen, für mich zurückliegt. Die Erinnerung an den Krieg musste also damals für die Leute noch genauso frisch gewesen sein, wie meine eigene Erinnerung an diesen letzten Besuch heute ist.

Das ist eine seltsame Art der Zeitmessung, aber damit kann ich Ereignisse, die ich selber nicht erlebt habe, zumindest ansatzweise fassen: Ich nehme ein Stück der eigenen Biografie und messe damit die Weltgeschichte.

Das tat auch ein Mitreisender bei der Einfahrt des ICE in den Frankfurter Hauptbahnhof. "Hier war ja alles zerstört", sagte er zu seinen Begleitern. "Das muss man sich mal vorstellen: das Leid, die toten Kinder, die zerbombten Gebäude. Und als ich geboren wurde, 1966, da war das für meine Eltern noch so gegenwärtig, wie uns heute der Fall der Mauer gegenwärtig ist."


2009-05-24 Blick mobile

Vorgeschmack auf das Sommerloch heute Vormittag bei Blick mobile.


Ungewöhnlich finde ich nicht das Erdbeben von letzter Nacht um 3:39 Uhr, sondern die Tatsache, dass ich 5 Sekunden vor dem Rumpeln aufgewacht bin.


2009-04-10 Tod

Am Karfreitag ist sie im Altersheim gestorben, eine Viertelstunde, bevor ich sie besuchen wollte. Es bleibt die wunderschöne Erinnerung an den letzten Dienstagnachmittag: zwei gemeinsame Stunden bei schönstem Frühlingswetter im Garten und die Tatsache, dass es ihr zuletzt wieder besser ging.


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Die Verblüffung, dass es mit der Altersdemenz so schnell gehen kann: In zwei Wochen vom Level einer Zwölfjährigen, mit der normale Gespräche möglich sind, auf das Level einer Dreijährigen, die sich nur lallend verständigen kann, die aber merkt, dass sie das, was sie sagen will, nicht ausdrücken kann, und deswegen fast zu weinen beginnt. Eben noch einigermassen gehfähig und zu Hause lebend, dann fünf Stürze in einer Woche, jetzt ein 80-jähriges Häufchen Elend im Rollstuhl im Altersheim.

Die Pflegerin und ihr routiniertes Mitgefühl mit dem Sohn: "S'esch mängisch no schwerig, gällid." Die unerfüllte Hoffnung, dass es mit professioneller Hilfe besser wird. Der sinnlose Traum, dass sich ein negatives Vorzeichen der jüngsten Zeit im Positiven wiederholen möge: Wenn es möglich war, dass nach einem einzelnen Tag mit verlorener Sprache am anderen Tag alles wieder gut war, gibt es da nicht auch die Chance auf das Umgekehrte? Die Fantasie, dass ich im Büro angerufen werde und von einem unerwarteten lichten Moment mit normaler Kommunikationsfähigkeit erfahre, Dauer ungewiss, "kommen Sie schnell!" Die Vorstellung, wie ich meinem Vorgesetzten sage, dass ich weg muss, und wie er besorgt fragt: "Geht es deiner Mutter schlechter?", und wie ich freudig antworte: "Nein, besser!"

Die Erkenntnis, dass das nicht passieren wird. Und dann doch das Highlight beim jüngsten Besuch im Heim. Die Ansprechbarkeit. Die besseren Reaktionen. Die Pflegerin, die mich nach meinem Vornamen fragt und dann sagt: "Ah, Sie sind Damian! Sie erzählt oft von Ihnen!"

Die Furcht vor dem nächsten Besuch, wenn alles wieder anders sein kann.

Noch schlimmer als Rentner, die an der Migros-Kasse mit Kleingeld bezahlen, sind angeberische Businesstypen wie der Mann vor mir: "Können Sie auf den rausgeben?", fragt er die Kassiererin und streckt ihr cool einen Tausender entgegen.

"Ja", sagt die Frau zu meiner Überraschung, "aber dazu muss ich ins Büro."

Die Kunden hinter mir verlassen fluchtartig die Schlange in Richtung der anderen Kassen, wo sie praktisch durchgewunken werden, während ich selber natürlich meine längst aufs Band gelegten Sachen nicht wieder einpacken und zu einer anderen Kasse tragen will. Also warte ich geschlagene vier Minuten, bis die Frau endlich mit einem Extra-Kässeli aus dem Büro zurückkommt, dieses umständlich öffnet und dem Mann in aller Seelenruhe einen Hunderter nach dem anderen auf die Hand zählt.

Die packt er dann ein, nicht ohne einen verstohlenen Blick auf mich zu werfen, entweder um zu sehen, ob ich verärgert bin oder ob seine Angeberei gewirkt hat.

Weder noch. Beeindrucken kann man mich mit so etwas nicht, und wenn ich merke, dass etwas genug Stoff für einen Eintrag auf diesen Seiten hergibt, ertrage ich auch die ärgerlichste Situation mit der allergrössten Gelassenheit.


2007-12-08 Bahn

"Den Kerl erschiesse ich", sagt einer von drei Männern im fast voll besetzten Zug von M. nach Luzern über einen nicht anwesenden Vierten. "Ich sage nur eins: Höngg! Im Ernst, ich habe noch Munition zu Hause, am Montag gehe ich hin und erschiesse ihn."

Ich hoffe, er war betrunken.


...ziert sich ein bisschen, sich für so etwas Profanes wie das Tippen eines Blog-Eintrags gebrauchen zu lassen, nachdem sie heute von einem Bundesrat geschüttelt wurde, aber die Eitelkeit hat schliesslich gesiegt.

2007-11-27 Bus-Fahrleitung

Wenn man nicht schlafen kann, dann kommt es einem gerade gelegen, dass um zwei Uhr früh an der Fahrleitung der städtischen Verkehrsbetriebe gearbeitet wird und man ein bisschen zuschauen kann.


Trostlos

Freitagvormittag in einer Bahnhofsbeiz in der Walliser Talebene. Ein älterer Stammgast lässt sich von der österreichischen Kellnerin Papiergeld in Münzen wechseln. In jeden der beiden Glücksspielautomaten der "Loterie Romande", die in einer Ecke des Lokals stehen, wirft er ein Fünffrankenstück. Zwei, drei Tastendrücke, dann ist alles vorbei. "Zehn Franken beim Teufel", sagt er schulterzuckend, als er zur Theke zurückgeht. Die Kellnerin glaubt, dass sie mehr Glück haben wird, und füttert die Automaten mit Münzen von ihrem Trinkgeld. Auch sie geht leer aus.