Der junge Mann am Welcome-Desk im Kino Metropol in Zürich, dem ich meinen Namen nannte, suchte vergeblich auf seiner Liste und fragte dann: "Sind Sie sicher, dass Sie sich nicht für letzten Sonntag angemeldet haben?" Ich war sicher, kramte die Einladung hervor, die ich in weiser Voraussicht mitgenommen hatte, und deutete auf die Anmeldeadresse "mittwoch@...", an die ich mich wohl kaum für Sonntag hätte anmelden können.
Nach einer Weile entschloss er sich dann, mir trotzdem ein Ticket zu geben, allerdings ohne den schönen, mit dem Swissair-Schriftzug bedruckten Umschlag, den alle anderen Gäste erhielten.
Die Sondervorführung beginne "pünktlich um 20.00 Uhr", hiess es in der Einladung. Als um 20:07 Uhr der Film noch nicht lief und viele Plätze noch leer waren, trat der Mann vom Welcome-Desk mit Mikrofon auf die Bühne und sagte, es habe leider eine kleine Panne bei den Einladungen gegeben. In etwa 20 Prozent der verschickten Einladungen sei eine Anfangszeit von 20:30 Uhr genannt worden. Man wolle nicht anfangen, bevor auch diese Leute hier seien. Deshalb werde jetzt zuerst das "Making of" gezeigt, und dann werde "der Tobi" ein paar Worte sagen.
"Der Tobi" war Cutter und Co-Regisseur Tobias Fueter. Er kam dann um halb neun mit Produktionsleiterin Anne Walser auf die Bühne und fand einfach alles "geil": So einen Film habe es in der Schweiz noch nie gegeben, er habe etwa doppelt so viele Schnitte wie ein normaler Film, etwa 2300 oder so. "Der Michi" (Regisseur Michael Steiner) und "der PC" (Produzent Peter-Christian Fueter) könnten leider nicht hier sein, sie seien in Solothurn, wo "der Michi" vor 45 Minuten den Schweizer Filmpreis für "Mein Name ist Eugen" erhalten habe. Applaus Applaus, dann sagte Frau Walser im Namen der Produktionsgesellschaft, sie fange gar nicht erst an, in ihrer Danksagung einzelne Namen zu nennen, sondern sage einfach allen pauschal danke. Die Mitglieder der Filmcrew träfen sich übrigens nachher um 23:15 Uhr noch in der Helvti-Bar zu einer kleinen Feier. Dann fing endlich der Film an.
Ich wusste, dass er 135 Minuten dauern würde und sah schon, dass es knapp werden würde für mich, wenn ich noch mit dem öffentlichen Verkehr nach Hause kommen wollte. Auch während des Films rechnete ich ständig nach, ob es noch reichen würde, was den Genuss ein wenig trübte. Trotzdem gefiel mir der Film sehr gut - besonders die Kombination von dokumentarischem Material mit Spielszenen. Es stört überhaupt nicht, dass die Protagonisten in der Fiktion anders aussehen als in den Dokumentarszenen. Überzeugend ist die schauspielerische Leistung von Hanspeter Müller-Drossaart als Mario Corti und von Gilles Tschudi als Marcel Ospel. Der kommt, ebenso wie die ganze UBS, im Film sehr schlecht weg und wird ganz und gar als Bösewicht gezeichnet - ich würde mich nicht wundern, wenn von dieser Seite doch noch eine superprovisiorische Verfügung gegen den Film erwirkt würde. Dass eine "Superprovisorische" noch nicht ganz auszuschliessen sei, hatte "der Tobi" übrigens am Anfang ausdrücklich gesagt. Das würde er dann wohl nicht mehr so geil finden.
Etwa 14 Minuten bevor mein Zug fuhr, begann der Abspann zu laufen. Jetzt hätte es vielleicht noch bis zum HB gereicht, aber da jetzt - im Gegensatz zu einer normalen Vorführung - alle Gäste im Saal aufmerksam die Schlusstitel lasen, um zu sehen, ob sie auch erwähnt seien, konnte ich nicht gut aufstehen und mich an den Leuten auf den Plätzen neben mir vorbeidrängen.
Das Warten lohnte sich immerhin noch ein bisschen, denn jetzt kam doch noch "der Michi" zusammen mit Hanspeter Müller-Drossaart auf die Bühne, sagte, er komme soeben aus Solothurn, wo er den Filmpreis für "Mein Name ist Eugen" gewonnen habe, und morgen seien sie wieder in Solothurn mit "Grounding". Müller-Drossaart sagte auch noch ein paar Worte. "Der PC" wollte nicht auf die Bühne kommen.
Dann gab es einen Apéro, aber ich hatte keine Zeit und - da ich weit und breit der Einzige war, der niemanden kannte - keine Lust dazu, sondern ging gleich raus und zu Fuss zum HB. Nach L. würde zwar noch ein Zug fahren, aber von dort zu meinem Wohnort nicht mehr, deshalb würde ich ein Taxi nehmen müssen. Ich hob deshalb an einem Bancomaten im HB 50 Franken von meinem Konto ab. Der Geldautomat wirkte absolut schäbig - entweder einfach, weil er tatsächlich schmuddelig war oder aber, weil der Film mein Bild von der UBS negativ beeinflusst hatte.
Ereignislose Zugfahrt, dann ein Taxi genommen. Der Taxifahrer wollte zum Glück nicht reden, aber da er auf 25 Grad geheizt hatte, gab es trotzdem kein Trinkgeld. Zusammen mit dem Klassenwechsel zum GA, den ich mir auf der Hinfahrt um 18 Uhr gegönnt hatte, um nicht mitten ins Pendlergedränge zu geraten, habe ich somit Fr. 52.50 für das Privileg ausgegeben, einen sehr guten Film anlässlich einer völlig unprofessionell organisierten Vorpremière einen Tag vor dem gemeinen Volk sehen zu können.
Bei aller Qualität des Films wünscht man sich da beinahe, dass er doch noch per superprovisorischer Verfügung gestoppt wird. Für einen Film, den man in dieser Form nie wieder sehen könnte, hätte es sich in der Tat gelohnt, die ganzen Unannehmlichkeiten auf sich zu nehmen.