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Heute Nachmittag auf der Zugfahrt nach Zürich (L. ab 15:10 Uhr) kam ich mir in die Neunzigerjahre zurückversetzt vor: Der Zug bestand aus alten grünen Wagen, die damals noch im regulären Einsatz standen, und in meiner Nähe sassen hübsche junge Frauen, die es von Bikinis und vom Sonnenbaden hatten, wobei eine von ihnen sagte: „Ich trage nie ein Oberteil“. Altes Rollmaterial und Freizügigkeit wie vor 15 Jahren – das eine können sie von mir aus gerne wieder bringen, aber die Wagen sollten sie langsam verschrotten.

Weniger schön, aber nicht minder interessant war die Rückfahrt am Abend (Zürich ab 17:35 Uhr), diesmal im modernen IC2000-Doppelstöcker und in der ersten Klasse. Der Klassenwechsel für 7 Franken 50, den ich mir eigentlich gegönnt hatte, um im Pendlergedränge meine Ruhe zu haben, war dann das Eintrittsticket zu einem bizarren Schauspiel. Ein Mann, ca. 50 Jahre alt (links ausserhalb des Bildausschnitts), nennen wir ihn Peter, denn so heisst er, wählt mit dem Handy eine Nummer und sagt so laut, dass man es im ganzen Wagen hört: „Hallo Lars, hier ist Peter. Störe ich?“

Ja, denke ich.

Peter lärmt weiter: „Ich wollte nur schnell fragen, ob ihr Wasser bekommen habt.“

Ein anderer Mann, ebenfalls ca. 50 Jahre alt (rechts im Bild auf der Eckbank sitzend), steht auf, mustert den Lärmenden demonstrativ und vorwurfsvoll, aber es nützt nichts, der lärmt weiter. So erfährt der ganze Wagen, welche Gruben oder Schächte einer Baustelle beim heutigen Regen vollgelaufen sind: „Dass B2 und B3 Wasser bekommen würden, habe ich schon gedacht, aber B1…“

Nach dem Ende des Gesprächs fängt eine Frau (im Bild vorne), die Peter gegenüber sitzt, an, alle mit ihrem Palm-Handy zu nerven: Sie spielt offenbar ein Game, mit einem Stift tippt sie dauernd auf dem Display herum, und jedes Mal ertönt dabei ein Klack-Geräusch. Neben ihr (im Bild hinten) sitzt ein Mann, der ebenfalls auf seinem Handy herumdrückt, aber wenigstens hat er den Ton abgeschaltet.

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Ich frage mich schon, ob die Situation mehr für einen Eintrag hier hergibt als bloss ein Bild. Nach etwa zehn Minuten, in denen die Reisenden im Durchschnitt jede Sekunde ein Klack vom Handy der Frau ertragen mussten, erhalte ich die Antwort. Der Mann rechts im Bild ruft laut und verärgert aus seiner Ecke: „Was ist das für ein Geräusch? Sind Sie am Spielen? Stellen Sie doch den Ton ab, das ist ja unerträglich!“

Die Frau macht unbeirrt weiter, klack klack klack, die Spannung steigt. Nach etwa zwei Minuten sagt der Mann mit dem Handy neben ihr schüchtern so etwas wie, dass ihn das Klacken auch störe.

„Es nervt mich ja selber auch“, sagt die Frau, „aber ich weiss nicht, wie man es abstellt.“ Der Mann nimmt das Handy und den Stift der Frau, muss auch noch etwa zwanzigmal "Klack" machen, bis er sich im Menu zu dem Posten durchgewählt hat, wo er den Ton abschalten kann, und gibt es ihr dann zurück.

„Vielen Dank“, sagt die Frau und steigt, gerade an ihrer Haltestelle angekommen, aus. In diesem Moment beginnt ein Handy zu klingeln und wird immer lauter. Peter beeilt sich, seine Mappe zu öffnen, kramt hastig das Handy hervor, damit er nicht auch noch einen Vorwurf vom anderen Mann kassiert, nimmt ab und sagt dann trotzdem wieder so laut wie vorher: „Hallo Brigitte!“

Ich zucke zusammen, die junge Frau mir gegenüber sieht es und beginnt zu lachen. Sie sieht so aus, als ob sie auch nur ausnahmsweise in der ersten Klasse fahren würde und gleichermassen von dem Verhalten dieser Leute fasziniert, das heisst amüsiert und angewidert wäre wie ich. Als sie bald darauf aussteigt, verabschiedet sie sich freundlich und immer noch lachend von mir. Zum Glück muss auch Peter aussteigen, so dass auf dem Rest der Fahrt zurück nach L. dann endlich Ruhe herrscht.

Das war wieder mal das wirkliche Leben, wie es eben nicht im Buche steht. Ich bin übrigens nach Zürich gefahren, um einen iPod zu kaufen. Aber im Zug werde ich den wohl kaum verwenden, sonst würde ich ja solche Sachen wie heute gar nicht mitbekommen.