Gestern Freitag nach 19 Uhr. Ich steige an der ersten Haltestelle am Stadtrand von L. in den Bus Richtung Zentrum. Der Bus ist fast leer, die Berufstätigen sind längst zu Hause, und wer ausgehen will, ist noch nicht unterwegs.

Nach ein paar Haltestellen steigen drei Leute im Alter von Anfang zwanzig ein: ein dunkel gekleideter, von Aussehen und Sprechweise her ziemlich tuntig wirkender Mann, eine ebenfalls dunkel gekleidete, sehr mollige Frau, an die ich normalerweise keinen zweiten Blick verschwenden würde, und eine etwas farbenfrohere, sehr hübsche, dunkelblonde Frau mit ganz tiefem Ausschnitt, die von den beiden anderen (wenn ich mich richtig erinnere) Nadine genannt wird. Der Mann und die Mollige sitzen auf der anderen Seite des Ganges auf gleicher Höhe wie ich, Nadine lümmelt sich mit dem Rücken zum Seitenfenster auf die beiden Plätze davor.

Die Drei albern herum und lachen laut heraus, wobei Nadine jedes Mal, wenn sie beim Lachen Luft holt, ein schweinisches Grunzen entfährt, etwas, das im groben Gegensatz zu ihrem angenehmen Äusseren steht. Obwohl diese Eigenart den anderen beiden längst bekannt sein muss, finden sie es sehr lustig und beginnen ebenfalls zu grunzen wie Schweine. „Also ich habe noch nie gegrunzt wie ein Säuli“, sagt die Mollige, „aber gestern ist es mir zum ersten Mal auch passiert.“ Sie lachen und grunzen wieder. Alle sprechen reinstes Zürichdeutsch, ich frage mich, was sie nach L. verschlagen hat.

Nach einer Weile sagt der Mann zur Molligen: „Schau mal, Spermaflecken!“ und deutet auf seine Hose. „Du kennst ja das Brett am Kopfende meines Bettes“, fügt er hinzu. „Das ist auch ganz voll.“

Lauter als nötig fährt er fort: „Zum Glück sind wir nicht prüde und können über solche Sachen offen reden. Wenn wir mal dreissig sind, sind wir dann vielleicht auch prüde.“

Ab jetzt ist mir klar, dass es ihm nur darum geht, die anderen Fahrgäste zu provozieren, insbesondere die beiden blonden, etwa 25-jährigen Frauen, die auf den Plätzen vor Nadine sitzen und ihre Öhrchen spitzen. Die Mollige beschliesst mitzumachen: „Mein Pyjama ist gestern auch ganz feucht geworden“, sagt sie.

„Wenn ich mit zwei Frauen zusammen bin, dann verwenden wir meistens einen Dildo", sagt der Mann, “dann gibt es nicht so eine Sauerei. Aber wenn wir zu viert sind…“

„Au ja, zu viert ist geil“, sagt die Mollige. So geht das eine Weile weiter, und wir erfahren von der Molligen unter anderem noch: „Aufs Blasen stehe ich besonders.“

Die beiden blonden Frauen scheinen in so etwas wie eine Schreckstarre verfallen zu sein, was den drei Schweinchen nicht entgeht, denn darauf haben sie es ja angelegt. Mich hingegen kann, nachdem ich im ÖV schon Suizid und Zänkereien erlebt habe, nichts mehr aus der Fassung bringen. Deshalb verziehe ich keine Miene, schaue ab und zu auf die Uhr und tue so, als ob mich die Fahrt ziemlich langweile. Die Drei bemerken es und sind ein bisschen irritiert.

An der nächsten Haltestelle steigen die beiden blonden Frauen aus, bleiben aber vor dem Bus stehen. Die drei Schweinchen freuen sich wie Kinder, als sie deren Reaktion mitbekommen: „Jetzt schauen sie zu uns“, sagt der Mann, obwohl seine Kolleginnen die Blondinen ebenfalls beobachten, „jetzt reden sie über uns“, fügt die Mollige hinzu, „und jetzt schauen sie wieder zu uns“, sagt der Mann erneut.

Am Bahnhof steige ich dann aus, ebenso Nadine, die sich von den anderen beiden fast grusslos trennt und umgekehrt – so beiläufig, wie es wohl Leute tun, die genau wissen, dass sie spätestens in einer halben Stunde gewohnheitsmässig wieder miteinander telefonieren und sich spontan für den Abend verabreden werden - zu welchen Vergnügungen auch immer.