Momente
VIVA

Aus Erfahrung kann ich sagen: Man gewöhnt sich dran.


2006-04-26_Guetsch
Heute im Zug gehört:

Mutter: Schau, da oben ist der Gütsch, wo Michael Jackson jetzt dann vielleicht wohnen wird.
Kind: Gäll, das ist ein Jugo!
Mutter: Nein, ein Amerikaner, ein Schwarzer.
Kind: Der hat sich doch operieren lassen, damit er weiss wird.
Mutter: Ja.
Kind: Warum hat er das gemacht?
Mutter: Schau, jetzt kommt wieder ein Tunnel.
Kind: Warum hat er das gemacht?
Mutter: Schau, jetzt sind wir im Tunnel!
Kind: Ma-am! Warum hat er das gemacht?
Mutter: Weil er im Hirni oben nicht ganz richtig funktioniert.


2006-02-08_easy

Wenn ich verschlafe oder Überstunden mache, ist es vorbei mit diesem paradiesischen Zustand. Dann muss ich einen späteren Zug nehmen und gerate ins grösste Gedränge.

Ich habe erst drei- oder viermal in meinem Leben verschlafen, aber vor ein paar Tagen war es wieder mal soweit. Und ich wurde schwer bestraft. In der S-Bahn gab es nicht sechzehn Sitzplätze pro Fahrgast wie sonst, sondern es war gerade umgekehrt. Und im Bus war ich eingepfercht zwischen einer Horde medizinischer Praxisassistentinnen auf dem Weg zu ihrer Berufsschule. Bis vor zwei Jahren habe ich mir das regelmässig zugemutet, aber irgendwann hatte ich das Gejammer der Arztgehilfinnen über ihren angestauten Frust der vergangenen Woche satt.

Ich stehe lieber eine Viertelstunde früher auf, als mir im Bus solche Sachen anhören zu müssen wie "Der Michi hat mich mit einer Albanerschlampe betrogen" oder "Der Chef hat mich zusammengeschissen, nur weil ich eine Woche lang mit der zehnfach zu hohen Strahlendosis geröntgt habe". Mein Motto heisst zwar "Täglich offen für alles", aber die Offenheit hat ihre Grenzen. Wie schreibt doch der Philosoph Hans Saner: "Die exakten Beobachter werden Menschenfeinde" (Hans Saner: Die Anarchie der Stille, Basel 1990, S. 75). Um nicht ein Menschenfeind zu werden, höre ich lieber auf, allzu exakt zu beobachten und hinzuhören.

Weniger schlimm ist es am Abend, wenn ich länger als üblich arbeite - so wie gestern. Da bekommt man zwar mit, wie 12-Jährige mit einer Bierflasche in der Hand durch den Zug torkeln und wie Rentnerpaare alle 30 Sekunden auf die Uhr schauen und sagen: "Jetzt fährt er dann bald ab" und "Jetzt müsste er abfahren" und "Jetzt müsste er schon längst abgefahren sein". Aber wenigstens gibt es noch freie Sitzplätze, und wenn man einen 14-Jährigen, der gerade sein Znacht aus Paprika-Chips und Eistee zu sich nimmt, fragt, ob man sich in sein Abteil setzen darf, bekommt man zu hören: "Ja, easy".


2006-01-28_Gut_oder_boehse

Süsse achtzehn Jahre alt sein. Herzig aussehen. Einem gleichaltrigen Gschpänli eine superliebe Glückwunschkarte zum Geburtstag schreiben. Sich darüber aufregen, dass in einem bestimmten Schuhladen in Zürich ausländische Kundinnen wie Dreck behandelt werden. Aber ganz düstere Kleider tragen, einen Aufnäher der "Böhsen Onkelz" auf dem Rucksack haben und satanisch gut über die Friedhöfe der Gegend Bescheid wissen. Wie passt das zusammen?


Heute im obersten Stock unseres Bürogebäudes zusammen mit einem sehr bekannten ehemaligen Politiker in den Lift gestiegen. Er drückt keinen Knopf, und auf meine Frage, wohin er wolle, gibt er mir keine klare Antwort. Wahrscheinlich will er zum Direktor, denke ich und drücke für ihn den Knopf der entsprechenden Etage. Dort macht er einen Schritt weit aus dem Lift, fragt „Wo bin ich hier?“ und kramt umständlich seine Brille hervor, damit er sich orientieren kann. „Nein, ich will nicht zum Direktor“, sagt er, „ich muss in die Stadt“. Er steigt wieder ein. Schliesslich kommen wir im Erdgeschoss an. „Erdgeschoss?“, fragt er unsicher. „Ja“, sage ich. „Gut“, sagt er, „letztes Mal bin ich nämlich im Keller gelandet.“