Momente
2006-11-11_Festnahme

Heute Nachmittag im Shoppingbereich des Bahnhofs Bern: Zwei Polizisten haben einen gut gekleideten Mann festgenommen und in Handschellen gelegt. Sie wollen ihn auf die Bahnhofwache bringen, aber er leistet passiven Widerstand, indem er das Gehen verweigert und sich fallen lässt. Sie heben ihn am Gürtel hoch und zerren ihn so, dass seine reglosen Beine über den Boden schleifen und der Kopf auf dem weit nach vorn gebeugten Oberkörper ebenfalls fast den Boden berührt, zwischen sich her wie ein Tier. Nach ein paar Dutzend Metern ist das Ziel erreicht. Auf der Schwelle zu ihrer Wache lassen die Polizisten den Mann zu Boden sinken. Das seltsame Schauspiel, das Hunderte von Passanten verstört hat, ist vorbei.


"Vorsicht, heiss und fettig", rief gestern eine deutsche Touristin im Bahnhof Luzern, als sie sich schwer bepackt durch die Schlangen der Wartenden drängelte.

Also das Fett habe ich gesehen, aber heiss war da gar nichts.

2006-08-27 Bahnhof M

"Ich muss dir noch erzählen, was am letzten Montag passiert ist", sagt die junge blonde Frau aus Ex-Jugoslawien, nachdem sie schon ein paar Minuten so laut am Handy mit einer Kollegin gesprochen hat, dass alle am Bahnhof M. es hören können. "Du kennst doch diesen Typen von neulich, den ich so herzig fand. Letzten Montag habe ich ihn wieder getroffen. Wir gingen zusammen in diesen Raum beim..." - sie wechselt für ein paar Sätze in ihre Muttersprache, dann fährt sie in Mundart fort:

"Ich so: 'Nein, das finde ich voll eklig, so etwas mache ich nicht!', er so: 'Woher willst du das wissen, wenn du es noch nie gemacht hast?', ich so: 'Nein, das will ich nicht'. Aber er hatte mich voll in der Zange, ich konnte mich überhaupt nicht bewegen." Sie zuckt gleichgültig mit den Schultern und fügt hinzu: "Also habe ich es dann gemacht."


2006-10-08_Sonntagmorgen

...im Oktober.


Mal wieder dem weltberühmten Abenteurer die Hand schütteln – das würde wohl der Höhepunkt des Abends werden, dachte ich gestern. Ich hatte den Mann schon ein- oder zweimal beruflich getroffen, und jetzt hatte die Institution, bei der ich arbeite, zusammen mit einer Partnerorganisation zu einem Anlass rund um den Abenteurer eingeladen. Über hundert Leute, die uns in letzter Zeit einen Gefallen getan hatten, haben eine Einladung von uns erhalten. Ich bewege mich also unter den Gästen und begrüsse den einen oder anderen, als mich plötzlich zwei Männer in meinem Alter mit Vornamen ansprechen.

Es dauert eine ganze Weile, bis ich begreife, dass es Markus und Andreas sind, zwei ehemalige Schulkollegen, mit denen ich fünf Jahre bis zur Matura am Gymnasium war und die ich seit ewigen Zeiten nicht mehr gesehen habe.

„Wie kommt ihr denn dazu, hier zu sein?“, frage ich ungläubig.

„Durch meine Frau“, sagt Andreas und nennt einen Namen, den ich selber auf die Einladungsliste gesetzt hatte, weil ich mit der Frau ein paarmal zu tun hatte. „Sie kann leider nicht kommen, da dachte ich, ich nehme Markus mit.“

Es stellt sich also heraus, dass die Frau, mit der ich beruflich zu tun hatte, mit dem Schulkollegen verheiratet ist. Da sie ihm von mir erzählt hatte, rechnete Andreas schon damit, mich an diesem Abend zu treffen, ich hingegen war völlig perplex. Ich weiss nicht, wie das bei anderen Leuten ist, aber bei mir sind unterschiedliche Sphären, das Private und das Berufliche, das Vergangene und das Gegenwärtige, in verschiedenen Schubladen gespeichert, und wenn jemand aus der einen Schublade plötzlich in der anderen auftaucht, komme ich mir im ersten Augenblick vor wie im falschen Film.

Jetzt standen wir da und redeten an meinem Arbeitsplatz darüber, was aus unseren anderen Gschpänli nach der Matura geworden ist. Es war, als ob ich meine Arbeitskollegen an ein Klassentreffen mitgenommen hätte: eine sehr surreale Vermischung der Lebensbereiche, die mir von diesem schönen Abend am stärksten in Erinnerung bleiben wird.

Ach ja, dem weltberühmten Abenteurer habe ich dann auch mal wieder die Hand geschüttelt.

Neulich beim Verlassen der Wohnung sah ich an der Strasse einen uniformierten Polizisten in einer Mülltonne wühlen. Hoppla, das Staatspersonal ist wohl doch nicht so gut bezahlt, wie es immer heisst, dachte ich, bis ich sah, dass die Mülltonne ein getarnter Radarkasten war.

2006-08-21_Marschgepaeckroll

Eine Armee, deren Soldaten ihre persönliche Ausrüstung mit dem Gepäckrolli durch die Gegend ziehen, wirkt irgendwie nicht besonders abschreckend, finde ich.


2006-08-12_Rauchen

"Rauchen ist eigentlich nicht so gut", sagt der Kleine am Bahnhof altklug zu ein paar fremden Männern, die er rauchen sieht oder vom Rauchen reden hört.

"Habt ihr gehört? Der Kleine macht sich Sorgen um uns", sagt einer der Männer zu seinen Kollegen und belohnt den Kleinen mit Süssigkeiten.


Ich weiss nicht, was mich heute Morgen im Bahnhofkiosk mehr überrascht hat, die Frage der Kundin neben mir: "Hänzi de kroatisch Cosmopolitan?" oder die Antwort der Verkäuferin: "Ja."

2006-07-30_girls

Ein allzu grosser Zufall war es ja nicht, als ich am letzten Sonntagabend um 19:00 Uhr auf der Rückfahrt von L. im Zug zwei junge Mädchen wiedersah, die schon um 13:00 Uhr auf der Hinfahrt in die Stadt denselben Zug genommen hatten wie ich.

Schon eher ein Zufall war es, als ich am selben Tag um 17:30 Uhr am Central in Zürich eine dunkelhaarige Frau aus einem Tram steigen und mich einen Moment lang verdutzt anschauen sah, die schon um 14:00 Uhr am Bahnhofquai neben mir aufs Tram gewartet hatte.

Und erst recht ein Zufall war es, als ich am selben Abend zu Hause auf meinen Videoaufnahmen des Tages (ich hatte in Z. eine neue Kamera ausprobiert) zwei Personen zu erkennen glaubte, von denen ich ziemlich sicher war oder mir einbildete, dass sie mir in der grossen Stadt unabhängig voneinander schon vor mehreren Jahren vor die Linse gekommen waren.

In solchen Situationen habe ich manchmal das Gefühl, dass das ganze Leben um mich herum extra für mich inszeniert ist: dass in dem Stück, das sich "Damians Leben" nennt, ein Regisseur einen Haufen gelangweilter Statisten mit dem Megafon aufscheucht ("Achtung, er kommt!"), bevor ich um die Ecke biege, dass dann alle eine Show abziehen, solange ich in der Szene bin, und dass die Statisten erleichtert zusammensinken, wenn ich wieder von der Bildfläche verschwunden bin.

Und dass der Regisseur manchmal nachher zu einem Statisten sagt: "Scheisse, ich glaube, er hat dich erkannt und hat bemerkt, dass du vor vier Stunden schon in der anderen Szene drin warst. In einer perfekt anonymen und beliebigen Welt gibt es das nicht, wir brauchen unbedingt noch mehr Statisten, damit so etwas nicht nochmal vorkommt."