Rückfahrt von einem sehr schönen Besuch bei Verwandten in Deutschland. Bei meinem letzten Besuch 1977 war ich noch ein Kind gewesen. Damals, das wurde mir kürzlich bewusst, war seit dem Zweiten Weltkrieg erst so viel Zeit vergangen, wie ebendieser Besuch, von heute aus gesehen, für mich zurückliegt. Die Erinnerung an den Krieg musste also damals für die Leute noch genauso frisch gewesen sein, wie meine eigene Erinnerung an diesen letzten Besuch heute ist.
Das ist eine seltsame Art der Zeitmessung, aber damit kann ich Ereignisse, die ich selber nicht erlebt habe, zumindest ansatzweise fassen: Ich nehme ein Stück der eigenen Biografie und messe damit die Weltgeschichte.
Das tat auch ein Mitreisender bei der Einfahrt des ICE in den Frankfurter Hauptbahnhof. "Hier war ja alles zerstört", sagte er zu seinen Begleitern. "Das muss man sich mal vorstellen: das Leid, die toten Kinder, die zerbombten Gebäude. Und als ich geboren wurde, 1966, da war das für meine Eltern noch so gegenwärtig, wie uns heute der Fall der Mauer gegenwärtig ist."
Im ICE ist ein "Fensterplatz" einfach ein Platz auf der Seite, wo die Fenster sind und bedeutet noch lange nicht, dass man auch rausgucken kann.
Fahrt mit dem "SchönerTagTicket" von Soest nach Dortmund. Wettermässig war es allerdings kein schöner Tag - es regnete in Strömen. Und "Fahrt" kann man es eigentlich auch nicht nennen, wenn der Zug wegen eines Defekts alle paar Sekunden eine Schnellbremsung hinlegt und dann irgendwo in der nordrheinwestfälischen Pampa auf offener Strecke ganz stehenbleibt. Im Schrittempo schleppte er sich noch bis zum nächsten Bahnhof in Werl, dann ging gar nichts mehr. Erst mehr als eine Stunde später traf ein Ersatzzug ein und brachte die Fahrgäste mit insgesamt 2 Stunden Verspätung (die reguläre Fahrzeit hätte 50 Minuten betragen) nach Dortmund.
In Deutschland ist in so einem Fall offenbar alles ein bisschen anders als in der Schweiz: das Zugpersonal etwas hilfloser, die Fahrgäste geduldiger, die Bemerkungen der Kinder witziger ("Wenn der Zug nicht bald weiterfährt, steige ich aus, trenne ihn in vier Hälften und schiebe ihn" und "Der Zug hat Verspätung, wir müssen nachsitzen"). Nur die Züge sind genau dieselben wie bei uns: hergestellt von der Stadler Rail Group.
Darauf konnte ich mir jetzt aber nichts einbilden. Möglicherweise müsse ich zusammen mit dem Ticket einen gültigen Ausweis vorweisen, hatte man mir vor der Fahrt gesagt, aber ich war dann ganz froh, dass die Schaffnerin meine Schweizer Identitätskarte nicht sehen wollte.
Nachtrag 3.11.2010: Da ich eine Anfrage über die Verwendung des ersten Bildes in diesem Beitrag erhalten habe, halte ich hiermit fest: Das Bild http://static.twoday.net/damian/images/2009-11-gestrandet_01.jpg ist lizenziert unter Creative Commons by-nc-sa 3.0, wobei auf die Bedingung der Namensnennung ausdrücklich verzichtet wird.